Wolfgang Pauser
Lifestyle

Der Begriff Lifestyle hat in den 80er Jahren eine dreifache Karriere gemacht: In den Sozialwissenschaften trat an die Stelle des alten Klassenbegriffs die Klassifikation der Lebensstile, wenn es galt, in den diffusen Neuordnungen einer zu Reichtum gelangten Konsumgesellschaft weiterhin Unterscheidungen treffen zu können. Die Gebrauchsdinge des Alltags hatten sich mittels Design in Elemente einer Zeichensprache verwandelt, in der die Gesellschaft über sich selbst kommunizierte. Als Medium betrachtet avancierten die Lebensstile zum substanziellen sozialen Band.

In den Marketing-Wissenschaften wurden die ausdifferenzierten Lebensstile in Zielgruppen umgemünzt und von Erkenntnissen zu Taten geschritten. Zwischen der zielgruppenorientierten Produktgestaltung und der Aneignung von stilistisch zusammenhängenden Warenensembles durch die Konsumenten vermittelten als dritte Instanz die Medien. Innovativ gestaltete Hochglanzmagazine prägten den Begriff "Lifestyle" als einen ganz besonderen Lebensstil. Einen, der in der zirkulären Verknüpfung von empirisch beobachteten Konsumpräferenzen und deren Propagierung durch die Werbung bestand. Inbegriff von Lifestyle wurde der "Yuppie-Stil", der ästhetische Urteile durch kodifizierte Markenwerte ersetzte, über die ein Konsens hergestellt werden konnte. Gegen alle Erfahrungen der Moderne wurde diesem Stil, dem "Lifestyle" im engeren Sinne, Ewigkeitswert zugesprochen. Die Idee des "Klassischen" sollte alle Zeitlichkeit abschütteln, man bewegte sich in Maßanzügen auf Marmorboden. Nicht erben, sondern mittels Börsenspekulation und Sechzehnstundentag erarbeiten sollte man die traditionellen Insignien der Aristokratie. Fleiß, ökonomischer Erfolg und Ästhetisierung der Lebenswelt schienen damals konfliktfrei Hand in Hand zu gehen..

Wie alle Moden wurde auch die des "Lifestyle" rasch hinweggefegt und durch ihr Gegenteil ersetzt, als in den 90er Jahren das Band zwischen Arbeit, Geld und Schönheit zerriß. Ökonomischer Pessimismus und strukturelle Arbeitslosigkeit führten zu einem Wandel in der Funktion der ästhetischen Selbststilisierung: Nicht mehr Darstellung neuen Reichtums, sondern das Unterlaufen der ökonomischen Werthierarchie durch einen ästhetischen Avantgardismus des Häßlichen, Kitschigen und Wertlosen wurden im zeitgenössischen Retro-Kult zu einem Lebensstil, der zum "Lifestyle" in schärfstem Kontrast steht.

Der Begriff Lifestyle markiert heute, im Zeitalter seines Verschwindens, einen bedeutenden Paradigmenwechsel der Gesellschaft: die Freundschaft zwischen Ästhetik und Ökonomie wurde aufgekündigt, die Wunschökonomie der Konsumgesellschaft und ihrer Repräsentationsästhetik des "Lifestyle" ist ins Schleudern geraten. Die Krise des Lifestyle ist nicht nur eine Frage des Stils, sondern des zentralen libidinösen und kommunikativen Zusammenhalts einer Gesellschaft, die als Konsumgesellschaft verfaßt ist. Individuelle Lebensentwürfe und soziale Verständigung sind im Medium der Dinge immer schwerer artikulierbar, so sehr haben sich die Komplexität der Bedeutung und die Geschwindigkeit der Recodierung von Waren gesteigert.

In dieser Situation liegt es nahe, Künstler - als Spezialisten für das Verhältnis von Ästhetik und Gesellschaft - zu befragen, wie sie mit diesem auf der Ebene ihrer Werke umgehen. Die Antworten werden vielfältig sein. Denn die Kunst der Moderne hatte seit Anbeginn mit der Grenze zwischen Kunst und Alltagskultur experimentiert. Sei es, daß das Leben ins "Gesamtkunstwerk" aufgehoben werden sollte, sei es, daß umgekehrt die Kunst ihre Grenze zum Leben immer wieder dahingeben wollte. Übergänge und Entgegensetzungen, Parallelitäten und Zurückweisungen, Okkupationen und Vereinnahmungen, Umdeutungen und Ironisierungen finden sich auf der Palette der Verhältnisse, in denen die Ästhetik der Kunst zu der des Alltags stehen kann. Zwischen Kunst und Lifestyle gibt es eine unentrinnbare Haßliebe, eine paradoxe Verbindung und eine Bindung an die Paradoxie: Kunst muß, um Kunst zu sein, sich von anderen Ästhetiken abgrenzen. Kunst muß zugleich ihre Abgrenzungen stets überschreiten. Die Unvereinbarkeit dieser beiden Regeln führt zu Flirt, Krieg und deren unendlicher Vermischung. In der Ausstellung "Lifestyle" (Kunsthaus Bregenz 1998) stellten sich Künstler den Paradoxien ihres Verhältnisses zum Alltagsleben, gaben Einblick in ihre Liebes- und Haßbeziehungen zur Schönheit des Alltäglichen. Damit arbeiteten sie an jener ästhetischen Intelligenz, die im Zeitalter nach dem Verlust aller Lifestyle-Verbindlichkeiten das einzige Mittel ist, sich zu orientieren und handlungsfähig zu bleiben.

(Aus: Kunstforum International 143: "Lebenskunst als Real Life", Feb. 1999)


Folgende Bücher von Dr. Wolfgang Pauser sind im Handel erhältlich:

  • Dr. Pausers Werbebewußtsein
    Texte zur Ästhetik des Konsums
    Christian Brandstätter VerlagsgmbH., Wien 1995

  • Schönheit des Körpers
    Ein theoretischer Streit über Bodybuilding, Diät und Schönheitschirurgie
    Rhombus Verlag, Wien 1995


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