Himmelsglück und Zahnpasta


Gedanken zum "Gesicht ´97"

von Wolfgang Pauser


"Ich fürchte keine als der Schönheit Macht", schrieb Friedrich Schiller, doch das ist lange her. Damals gründete die Macht der Schönheit noch nicht im massenhaften Auftreten von Models, sondern in der Seltenheit einer Erscheinung, deren Bild wie ein Blitz in die Seele fuhr und dort ein Feuer entfachte, das den Dichter hoffen ließ. Hoffen, daß Schönheit die Menschen bessern würde in moralischer und vernünftiger Absicht.

Mittlerweile haben die Menschen bloß ihre Schönheit verbessert, haben Diäten, Fitnessprogramme, Operationen und Bildmedien zu ihrer Verteilung erfunden. Der Rest des Programms der Menschenverbesserung will noch nicht richtig greifen. Aber man soll die Hoffnung nicht aufgeben. Unter allen Tugenden ist die Schönheit dadurch ausgezeichnet, daß sie sich den modernen Anforderungen technischer Reproduzierbarkeit am leichtesten unterwerfen ließ. Seit Bodybuilding und Schönheitschirurgie zur Verfügung stehen, fällt es leichter ein schöner Mensch zu werden, als ein guter.

Zu Schillers Zeiten trat Schönheit noch vor den Betrachter wie ein Naturereignis, wie ein unverhofft gefundenes Juwel. Zauber und Schrecken ergriffen das Gemüt. In der Begegnung blitzte etwas auf, das über das Hier und Jetzt hinauszuweisen schien. Damals war es noch ein Leichtes, mit Erschütterung zu reagieren. Wer heute Schönheit sucht, ruft an bei einer Modelagentur, schaltet den Fernseher ein oder blättert gelangweilt in einer Zeitschrift. Der Sieg der Technik über die Natur hat auch die menschliche Schönheit erfaßt und ihr die dämonische Macht genommen. Das unvergleichlich Seltene, das man sich aneignen wollte, wurde so lange vervielfältigt, bis es seine Macht verlor, die Seele in Schrecken zu versetzen. Wie bei allen Gütern, die zur Massenware werden, versinkt deren Glanz in der Inflation. Das Beste und das Leerste verlieren schließlich ihre Unterscheidbarkeit.

Hätte Friedrich Schiller Sarah Kickhuth, das "Gesicht ´97" weiblichen Geschlechts, auf der Straße getroffen, hätte er ihr Aussehen wohl "himmlisch" genannt. Heute würde er nur noch sagen, daß sie ziemlich "modelhaft" wirkt. Dasselbe Gesicht bezieht aus seiner Eingliederung in den modernen Verwertungszusammenhang eine neue Wahrnehmung und Interpretation.

Die Klage über den "Schönheitskult" ist in aller Munde. Kritiker der medialen Bilderproduktion halten die Schönheit immer noch für mächtig und uns für Sklaven von Normen, die den Ikonen beigepackt sind, um uns beim Essen zum Maßhalten zu bewegen. Am alltäglichen Leiden unter der Unvereinbarkeit von ausgiebigen Gaumenfreuden mit langfristiger körperlicher Attraktivität geben wir gerne den Models und ihren Machern die Schuld. Dabei übersehen wir, daß mit der quantitativen Zunahme von Schönheitserscheinungen deren Macht und Erlebnisqualität nicht steigt, sondern sinkt. Wohl gibt es einen Schönheitskult. Doch das Kultische liegt nicht bloß im Herbeiinszenieren eines die alltägliche Erfahrungswelt überschreitenden Ideals, sondern zu gleichen Teilen in der Abwehr des Schreckens und der Macht, die von real erblickter Idealität ausgeht. Das "Gesicht des Jahres" bannt nicht mehr den Blick, vielmehr sind in ihm die Schrecken der Schönheit gebannt, das Feuer gezähmt, die Natur bezwungen. Das Himmlische eines möglichen Lächelns hat sich bei seinem Abstieg in die irdische Welt in Zahnpasta verwandelt. Nichts ist machtloser als ein Modelgesicht; außer das Model selbst.

Schon Platon bemerkte, daß "man Flügel bekommt, wenn man sich beim Anblick der Schönheit hienieden an die wahre (himmlische) Schönheit erinnert". Um irdische Schönheit für den bloßen Abklatsch einer visuellen Allgemeinheit zu halten, bedurfte Platon keiner medialen Reproduktionen. Doch erst Immanuel Kant kommt die Ehre zu, das Prinzip des Modelwettbewerbs entdeckt zu haben: "Man wird finden, daß ein vollkommen regelmäßiges Gesicht, welches der Maler ihm zum Modell zu sitzen bitten möchte, gemeiniglich nichts sagt: weil es nichts Charakteristisches enthält, also mehr die Idee der Gattung, als das Spezifische der Person ausdrückt." Die "Normalidee des schönen Mannes, in dem Lande, in dem die Vergleichung angestellt wird", bezeichnete Kant als "bloß schulgerecht". Er vermutete, daß eine solche Normalschönheit dadurch zustandekomme, daß die Einbildungkraft die gesehenen Gestalten "reproduziert und ein Bild auf das andere fallen läßt", bis aus dem errechneten Mittelwert "die Statur des schönen Mannes" hervorgeht.

Die mit dieser Auffassung der "Normalschönheit" einhergehende Entzauberung und Ernüchterung versuchte Kant noch aufzuhalten, indem er im Gegensatz dazu für die "Idealschönheit" forderte, sie müsse die Sittlichkeit zum Ausdruck bringen. Doch er hatte ein Programm entworfen, das nur noch von der Erkenntnis in die Tat umgesetzt werden mußte. An die Stelle des Schönheitsideals der herausragenden Einzelerscheinung trat die Idee des statistischen Verfahrens zur Ermittlung jener Allgemeingültigkeit, die eine breite Konsensfähigkeit nach sich zieht. Da die männliche und die weibliche Version des "Gesicht ´97" so aussehen, wie man sich eineiige Zwillinge verschiedenen Geschlechts vorstellen möchte, darf man annehmen, daß die restlichen 195000 Kandidaten des deutschen Modelwettbewerbs nicht viel anders ausgesehen haben als die Sieger. In ihren Gesichtern drückt sich nichts anderes aus als das demokratische Verfahren und die ökonomischen Ziele ihrer Selektion. Nur insofern spiegeln die "Gesichter des Jahres" die Zeit und die Gesellschaft, nicht aber als Verkörperungen eines Zeitgeists. Auch wenn die Siegerbilder nichts Bestimmtes und Besonderes zeigen, sind sie doch sichtbares Ergebnis jener demokratischen Allgemeinheit der Konsumenten, die sich auf ein Standardgesicht einigen muß, wenn sie Wünsche, Werte und Waren im Medium des Menschenbildes kommunizieren will.

Wer sind die Schönsten im ganzen Land? Objektiv läßt sich das nicht feststellen. Wie bei jeder prinzipiell unentscheidbaren Frage muß auch hier die Entscheidung durch das Verfahren legitimiert werden. Von regionalen über nationale bis hin zu den beiden großen internationalen Wettbewerben "Supermodel" und "Look of the Year" hat sich der Schönheitsvergleich organisiert, systematisiert und globalisiert. Diese extreme Selektion bildet den Gegenpol zu den ebenfalls weltweit ausgestreuten Vervielfältigungen der so gewonnenen Bilder. Die alte Idee eines allgemeinen "Menschenbildes" ist damit konkret geworden. "Das Gesicht des Jahres ist zwar ein deutscher Wettbewerb, die Models sehen aber nicht typisch deutsch aus, sondern international", meint Joachim Zielesch, der Veranstalter. Und weil internationales Aussehen nicht aus der Natur abgeleitet werden kann, muß wohl ein Code dafür sorgen, daß ein bestimmtes Aussehen als ein allgemeines gilt.

Andrea Weidler, Veranstalterin des österreichischen "Supermodel"- Wettbewerbs, unterscheidet drei institutionalisierte Schönheitsideale: "Das landläufig als schön empfundene Mädel ist gut für Mißwahlen, sie gefällt im Bierzelt und wird niemals Model, obwohl man ihr das verspricht. Sieht ein Mädchen interessant und individuell schön aus, kommt sie nur für Mode und Shows in Frage. Beim Gesicht des Jahres hingegen geht es vor allem um Symmetrie, Ebenmaß und Hautqualität, weil die Kosmetikindustrie der größte Auftraggeber ist und neutrale Gesichter die beste Grundlage für die Darstellung kosmetischer Produkte sind."

In der Vergangenheit waren es oft Extremisierungen wie der längste Hals oder der kleinste Mund, die Verehrung genossen. In der heutigen pluralistischen Weltgesellschaft werden das statistische Mittelmaß und der kleinste gemeinsame Nenner idealisiert. Fraglich bleibt, ob Platon mit seiner Theorie der lebendigen Abziehbildchen, ob Kant mit seinem Faible fürs Durchschnittsgesicht Visionäre waren, oder ob uns das Gesicht des Jahres deshalb gefällt, weil wir noch immer gute Platoniker und Kantianer, sprich: Abendländer sind. Und das mittlerweile weltweit.




© Dr. Wolfgang Pauser 1998
Tel. +43 1 6027491
Email: pauser@compuserve.com

"Himmelsglück und Zahnpasta" erschienen in DIE ZEIT
Photo: Fabrizio Bensch/Reuters


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