SHIRIN NESHAT

March 31 - June 4, 2000
KUNSTHALLE wien, museumsquartier
Museumsplatz 1, A-1070 Vienna, Infoline +43-1-52189-33

deutscher Text

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As a teenager, Shirin Neshat went to California to study art. When she visited Iran again in 1990, after the revolution of the ayatollahs, she found the country entirely changed. As a consequence, she began to make her impressions one subject of her artistic work. In doing so, she consciously refers to the social, cultural, and religious codes of Muslim societies, using telltale symbols while at the same time carefully avoiding unequivocal readings of her work. In her comprehensive photo series Women of Allah, made between 1993 and 1997, she confronts pictures and text by inscribing Persian poetry on hands, faces and bodies. Calligraphy thus becomes a part of the picture and the story it tells. She takes the offensive by taking up cliché views of the Islamic world - for example, women wearing the chador -, thus calling into question the values and notions of both religious fundamentalism and feminism. What becomes clear in this is that she is not out for simple answers or superficial propositions: Neshat's women look us in the face with a self-confident gaze, as strong and active personalities. A veiled woman with a rifle in her hands does not merely appear as a victim of a re-pres-sive system.


Fig.: . Shirin Neshat, I Am Its Secret, 1993, Aus der Serie: Women of Allah, S/W-Fotografie, Courtesy Barbara Gladstone Gallery


"Ich verstehe meine Arbeit als bildlichen Diskurs zum Thema Feminismus und zeitgenössischer Islam - als einen Diskurs, der bestimmte Mythen und Wirklichkeiten einer Prüfung unterzieht."
Shirin Neshat
Als Jugendliche ging Shirin Neshat für ihr Kunststudium nach Kalifornien. Als sie 1990 nach der Revolution der Ajatollahs wieder den Iran besuchte, fand sie ein völlig verändertes Land vor. Daraufhin beginnt sie, diese Eindrücke in ihrer künstlerischen Arbeit zu beleuchten. Sie greift dabei bewußt auf soziale, kulturelle und religiöse Kodes islamischer Gesellschaften zurück, verwendet starke Symbole und vermeidet gleichzeitig eindeutige Lesarten. In der von 1993 bis 1997 entstandenen, umfangreichen Fotoserie Women of Allah konfrontiert sie Bilder mit Text: Persische Lyrik schreibt sie Händen, Gesichtern und Körpern ein. Kalligrafie wird Teil der Bilder und deren Erzählung. Klischeevorstellungen der islamischen Welt - Frauen in Tschador z.B. - benutzt sie offensiv und befragt so das Wertesystem und die Vorstellungen von Fundamentalismus wie Feminismus gleichermaßen. Dabei wird deutlich, daß sie nicht auf einfache Antworten und oberflächliche Forderungen aus ist: Neshats Frauen begegnen uns mit einem selbstbewußten Blick, als starke, aktive Personen. Eine verschleierte Frau, die ein Gewehr in Händen hält, erscheint nicht nur als Opfer eines repressiven Systems.
Ende der 90er Jahre beginnt sich Shirin Neshat mit dem Medium Video auseinanderzusetzen. Dabei bezieht sie sich auf westliche wie islamische Filmemacher und eröffnet so einen Dialog der Kulturen. Am iranischen Kino der Nachrevolutionszeit interessiert Neshat die diesem eigene Sprache. Eine Sprache, die Grenzen nicht überschreitet, sondern auf sie eingeht und dadurch auf eindringliche Weise die Details einer Kultur erhellt, die sonst schwer zu entdecken wären. "Diese Filme sind schlicht, präzis, poetisch, reduziert und kraftvoll und kritisieren die Gesellschaft, ohne den Anspruch zu erheben, kritisch zu sein," so Shirin Neshat.
Die Ausstellung präsentiert einen Überblick über das Werk der 1957 geborenen Künstlerin, die zuletzt auf der Biennale in Venedig ausgezeichnet wurde. Die Kunsthalle Wien kann auch erstmals die mit den FilmenTurbulent (1998) und Rapture (1999) begonnene Trilogie zeigen, die mit dem dritten gerade in Marokko gedrehten Teil Fervor (2000) abschließt. Im Mittelpunkt dieser Videoinstallationen steht die Polarität und Dynamik zwischen männlichem und weiblichem Geschlecht in einer Welt voller Regeln und Taboos. Mit diesen Doppelprojektionen schafft Shirin Neshat einen dualistischen Raum, in dem die Besucher schwer neutral bleiben können.
In Turbulent stellt Neshat den hingebungsvollen Gesang eines Mannes, den leidenschaftlichen Auftritt einer Frau gegenüber. Er, in weißem Hemd und schwarzen Hosen, hat ein ebenso gekleidetes Publikum. Sie, fast vollständig in Schwarz gehüllt, wird alleine - fast isoliert - präsentiert. Wo sein Gesang auch Worte hat - es handelt sich um eine moderne Version eines Sufi-Gedichtes über die Liebe Gottes aus dem 13. Jahrhundert - führt sie die Universalität von Musik vor. Ohne Worte läßt sich ihr Auftritt schwer eindeutig einer Tradition oder Zeit zuordnen. Die tranceartige Stimme und ihre Gestik lassen darüber hinaus die Grenzen zwischen Ost und West verschwimmen.
Rapture zeigt Männer- und Frauengruppen in teilweise rituellen Handlungen; die ersten in einer Festung, die zweiten einer unwirtlichen Ebene ausgesetzt. Wenn jedoch am Ende die Frauen das Meer erreichen und sich in einem Boot zu neuen Ufern aufmachen, schwingt in der Ungewißheit ihres Aufstandes sowohl Mut zur Veränderung, Kritik am bestehenden System und auch die Möglichkeit des Scheiterns und Sinkens auf See mit. Schließlich bleibt auch die Frage nach Alternativen des Bleibens, damit das Weggehen, die Emigration nicht der einzige Ausweg wäre.
Fervor beschäftigt sich mit Tabus, die in islamischen Gesellschaften den Kontakt zwischen den Geschlechtern im öffentlichen Raum reglementieren. Ein einfacher Blick gilt schon als Sünde. "Überraschenderweise verstärkt die Kontrolle angesichts des tiefen Gefühls der Schuld und Schande der Menschen in der Öffentlichkeit aber eher den Grad der sexuellen Aufmerksamkeit", so Shirin Neshat. Im Mittelpunkt der Erzählung steht die Begegnung zwischen einem Mann und einer Frau, deren Wege sich zum erstenmal in einer offenen, einsamen Landschaft kreuzen. Später treffen sie sich zufällig wieder, doch in einer völlig anderen Umgebung. Ein bärtiger Mann wendet sich von einem Podium aus an das Publikum und erteilt eine moralische Lektion über die "Sünde" des "Verlangens". Die tragische Geschichte aus dem Koran gilt als Appell, sich zurückzuhalten und solchen "bösen" Kräften zu widerstehen. Die anfängliche Erregung und bescheidene Zuneigung des Mannes und der Frau schlägt in tiefe Beklemmung und Verwirrung um.
Kurator: Gerald Matt
Die Ausstellung ist eine Kooperation mit der Serpentine Gallery, London und wird dort anschließend von 28. Juli bis 3. September 2000 zu sehen sein.
Katalog: Shirin Neshat, 96 Seiten, dt/engl, ATS 240,- (Euro 17,45), mit Texten von Hamid Naficy, Ruth Noack und einem Interview mit Shirin Neshat von Gerald Matt.