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Digitale Zuckerschlecker
Mutiges Design verhilft neuen Apple-Computern zum Welterfolg

Von Wolfgang Pauser

Das Unsichtbare ist überall. Esoteriker und Paranoide ahnten das schon lange. Man nannte sie Seher, weil sie ein Auge hatten für das, was man nicht sieht. Die technische Moderne hat neue Unsichtbarkeiten hervorgebracht. Funkwellen, Partikel, elektrische Ströme und Mikrotechnologien durchsetzen die Welt mit Effekten, deren Entstehung das Auge nicht erschließen kann. Ein immer größerer Teil der Menschenwelt liegt außerhalb des sinnlich Wahrnehmbaren, ist zugänglich nur durch Meßinstrumente, Computer-Simulationen und feinmechanische Roboterarme. Im Dunklen bleiben auch die Vorgänge im Inneren der elektronischen Maschinen - selbst dann, wenn man der "Black Box" ein transparentes Gehäuse gibt. Dunkelheit macht Angst. Die will bewältigt sein. Mit dem Wachsen der Domäne des Unsichtbaren mehren sich die Probleme des Sichtbarmachens. Sie zwingen den modernen Designer dazu, in antimoderner Weise zum Arrangeur von Metaphern zu werden. Nur Sinnbilder können den Ausfall der Sinne kompensieren und dafür sorgen, daß man sich auch vom Unanschaulichen ein Bild machen kann. Die neuen Computer von Apple, iMac und iBook, antworten auf den von den Unanschaulichkeiten der modernen Technik geweckten Hunger des Auges. Sie servieren ein üppiges Menü aus Farbe, Glanz und Schimmer, gehaltvoll angereichert mit Sinnbildern der virtuellen Verschlingbarkeit der ganzen Welt. Sie sind ein Augenschmaus.

Über dem Portal des Firmensitzes von Apple in Silicon Valley prangt derzeit ein gigantisches Plakat. Fünf iMac Computer sieht man darauf, angeordnet zu einem ornamentalen Kranz, einem Mandala der elektronischen Verheißung. Jeder Computer hat eine andere, leuchtende Farbe. Die Farben sind nach Früchten benannt: Blueberry, Grape, Tangerine... Darunter steht geschrieben: "Yum." Dies ist kein neues Kürzel der Comutersprache. Korrekt übersetzt bedeutet es "Schmatz!". Damit ist nicht nur die Freude des Apple-Managements über 203 Millionen US-Dollar Gewinn im letzten Quartal zum Ausdruck gebracht. Mit diesem Schlachtruf regrediert das Elektronengehirn in die orale Phase.

Wie sonst nur Lutschbonbons treten iMac und iBook rundlich, lichtdurchlässig und in verfremdeten Fruchtfarben in Erscheinung. Aus dem Kern des traditionellen Apple-Markenzeichens, dem angebissenen Apfel, wurde eine artifizielle Fruchtphantasie entfaltet. Ähnlich den Multi-Vitamin-Bonbons sind auch die frischen Früchte des Apple-Designs so abstrakt und universal, wie es dem Wesen eines Internet-Computers entspricht. Das destillierte Fruchtige als platonische Idee verkörpert sich sodann im Gerät. Die unanschauliche (und unansehnliche) Hardware verschwindet in der Erdbeerform des iMac hinter transluzentem Zuckerguß. Yum!

Auch das neue Notebook von Apple besteht aus teils weißem, teils farbigem Kunststoff. Aus Marketing-Perspektive betrachtet ist das optimale Produkt eines, das ganz und gar zum Zeichenträger des Markenmythos geworden ist. Mit dem iBook ist diese Kongruenz annähernd erreicht: So groß und aprikosenfarbig leuchtend prangt der Apfel in seiner Mitte, daß der Rest des Geräts wie dessen bloßer Rahmen oder Präsentierteller erscheint. Die Teller-Metapher wird verstärkt von jenem Zusatzgerät, das drahtlos mit dem Internet verbindet. Es trägt den Namen "AirPort" und sieht wie eine fliegende Untertasse aus. Mit ihm ist man gut ausgestattet für die digitale Verspeisung der Welt.

Der Biß in den Apfel ist das älteste christliche Symbol für eine sinnliche Verführung. Wie der Paradiesesapfel verspricht auch der "Internet-Computer" die Ankopplung an ein universales, gleichsam göttliches Wissen, an die Gesamtheit der Archive. Die virtuelle Zweitwelt ist frei von Leid. Sie ist, wie alle Netze, eine in sich homogene Einheit. Und sie ist totalitär in ihrer Informiertheit über sich selbst, schließlich besteht sie nur aus Information. Wie könnte die Anschlußstelle an ein solches Paradies trefflicher gestaltet sein, als mit dem Bild eines zur Universalfrucht abstrahierten Apfels?

Schon in den ersten sechs Wochen nach der Markteinführung des iMac bissen 278000 Inormationshungrige an und gingen ins Netz. Im Juni war er der meist verkaufte Computer Amerikas, die Verführungskraft der Früchte vom Baum der Erkenntnis hat Apple ein Absatzwachstum von 40% im Vergleich zum Vorjahr gebracht. "Think different!" wurde propagiert, look different führte zum Erfolg.

Der zum Ding eingefrorene Moment des ersten Bisses in eine süße Frucht ist als Sinnbild des Konsumierens kaum zu überbieten. Als Skulptur verkörpert der iMac den Konsumwunsch schlechthin: einerseits, indem er als homogenes Ei seine Objekthaftigkeit hervorkehrt und durch sein Leuchten auratisiert; andererseits, indem er sich durch den Bildschirm-Charakter seiner gesamten semitransparenten Oberfläche als medialer Übermittler virtueller Konsumobjekte zu erkennen gibt. Sein Design gibt das Versprechen, alles zu zeigen, was das Auge zu verschlingen begehrt. Die frivole Wunschmaschine zaubert jedes mögliche Objekt herbei, denn es gibt nichts, was es im Netz nicht gibt. Wie schon in der Ikonographie des Paradieses hat der in Evas Apfel symbolisierte Wille zum Wissen zugleich eine erotische, wenn nicht pornographische Dimension.

Gemäß der erklärten Absicht des 31 jährigen Designers Jonathan Ive soll das Wunderding mit seinen vielgestaltigen Rundungen und der mattiert schimmernden Oberfläche dazu einladen, liebevoll gestreichelt zu werden. Das semitransparente, verbeulte Ei will mit seiner Ähnlichkeit zu einem Rundum-Bildschirm den voyeuristischen Wunsch nach totaler Sichtbarkeit mit dem Tastsinn versöhnen. Krümmt sich ein Bildschirm zur Kugel, erhält das Bild einen Körper, den man streicheln kann. Alle Probleme der viel beklagten Unkörperlichkeit virtueller Repräsentationen sind damit gelöst.

"Das ganze Objekt sollte aussehen wie die Seele eines Computers, dieser hat die Natur eines Chamelions. Die bisherigen Computer waren ganz unpassend architektonisch geformt", erläutert Apple´s Chefdesigner sein ästhetisches Konzept. Obwohl man es den bunten Spaß-Eiern auf den ersten Blick niemals ansehen würde, sind sie doch streng funktionalistisch begründet. Die Funktion jedoch liegt nicht, wie bei herkömmlichen Maschinen, in einer werkzeughaften Dienlichkeit für etwas außerhalb des Geräts Liegendes. Der privat genutzte Home-Computer ist ein Spielzeug, ein Gadget, eine variable Vitrine imaginärer Devotionalien. Er gleicht einer Kristallkugel. Der Spaß am Freizeit-PC fließt mehr aus dem Medium selbst als aus dem, was es überträgt. Wer surft, gleitet von Schwachsinn zu Schwachsinn und empfindet doch diesen Vorgang als lustvoll und sinnhaft. Das Prinzip des Funktionalismus, angewandt auf ein Medium spielerischer Kommunikation, führt konsequent zu einer expressiven Skulptur, die den Konsumgenuß am Datenstrom symbolisiert.

Das traditionelle All-in-one-Prinzip von Apple packt die Computerhardware ins Gehäuse des Bildschirms. Das Medium erhält damit einen Körper. Von innen her leuchtend und in sich geschlossen gewinnt dieser ein scheinbares Eigenleben, eine Persönlichkeit. Der maschinelle Spielpartner und persönliche Assistent verkörpert - wie ein leuchtender Kristall - zugleich den Weltgeist, ein unendliches Potential der Allsichtigkeit und Allwissenheit. Der Werbe-Slogan "in zehn Minuten im Internet" suggeriert eine besondere Verfügungsmacht und Geschwindigkeit. Bekanntlich kann man mit jedem Computer im Netz surfen, mit dem iMac kann man das angeblich ganz besonders gut. Warum?

Die Extraportion Surf-Spaß verdankt sich dem jenem Design, das die "chamelionhafte Seele" des Computers ankündigt und in Szene setzt. Seele ist dabei bloß ein altes Wort für Selbstthematisierung. Der iMac kehrt in seinem Äußeren hervor, was er für die Subjektivität seines Benutzers sein will: orale Ankopplung an einen süßen Bilderstrom, geistige Nahrung für das gefräßige Auge. Er tritt als symbolische Verkörperung jenes Spiels auf, das mit ihm gespielt werden will. Er medialisiert sich, um dem Käufer zu verkünden: ich bin ein Medium, dein Medium. Ich bin der Zauberspiegel deiner intimen, kolonialen und menschenfresserischen Wünsche. Der digitale Lollipop deiner infantilen Subjektivität.


in der Tageszeitung "Neuen Zürcher Zeitung" erschienen